19. October 2015 - 12. February 2016
Venue: Seminarraum des Imre Kertész Kollegs Jena, Leutragraben 1, 14. OG
Von Historiographie und Justiz über Jahrzehnte vernachlässigt, sind in den letzten Jahren Berichte von Überlebenden und Augenzeugen der Shoah aus Osteuropa auch in westlichen Sprachen zugänglich geworden. Diese Zeugnisse wurden etwa in Polen in den Jahren 1944 bis 1947 systematisch von der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission erhoben und in 39 Bänden veröffentlicht. Ähnlich früh nahm in Ungarn das Nationale Hilfskomitee für Deportierte seine Arbeit auf und befragte 1945-1946 fast 5.000 ungarische Überlebende der Shoah. Bereits während des Zweiten Weltkriegs oder unmittelbar danach entstanden, legen sie nicht nur ein zutiefst bewegendes und einzigartiges Zeugnis der Shoah ab, sondern stellen für die Geschichtswissenschaft Quellen ersten Ranges dar. Eine Auswahl dieser Texte, ergänzt um einzelne Zeugenaussagen aus frühen Nachkriegsprozessen in Osteuropa, steht im Mittelpunkt der Übung und soll quellenkritisch befragt werden: Welche Erkenntnisse über Verlauf und Wesen der Shoah lassen sich aus dieser spezifischen Quellengattung gewinnen? Welche Rolle spielte die Aufnahme von Zeugenberichten bei der begrifflich-sprachlichen Annäherung an die präzedenzlose Shoah? Wie ist das Verhältnis von Historiographie oder juristischer Aufarbeitung zu Zeugenberichten? Warum sind diese umfangreichen Quellenbestände für so lange Zeit relativ unbekannt geblieben? Das Quellenmaterial liegt in englischer oder deutscher Übersetzung vor.
Zur allgemeinen Einführung und Kontextsicherung ist die vorbereitende Lektüre von Dieter Pohl: Holocaust: die Ursachen, das Geschehen, die Folgen, Freiburg/ Basel/ Wien 2000 verpflichtend und wird über einen kurzen Essay der Teilnehmer abgefragt.