06. - 07. July 2015
Venue: Kino im Schillerhof
director: Jerzy Stuhr, Polen 2014, 108 Min., Original with English subtitles
„Obywatel“ ist zu 100 % Stuhr – denn hier ist Stuhr in seiner Hauptrolle als Jan Bratek nicht nur Dreh- und Angelpunkt der Handlung, sondern wagt retrospektiv aus dem Krankenhausbett auch noch einen Parforceritt durch die gesamte polnische Geschichte nach 1945. Genau genommen bekommt der Zuschauer sogar 200 % Stuhr, denn der junge Jan Bratek wird durch keinen Geringeren als Stuhrs Sohn Maciej verkörpert, der hier erstmals in die Haut seines Vaters schlüpft.
Beide werden vom Strudel der Ereignisse immer wieder mitgerissen und haben dabei ein traumwandlerisches Geschick, zielsicher in den einzigen vorhandenen Fettnapf zu treten. Der Zuschauer bekommt also nicht nur einen tragisch-tolpatschigen Helden, mit dem er sich identifizieren kann, sondern auch noch eine außergewöhnliche Lehrstunde in Zeitgeschichte. Wo auch immer Geschichte geschrieben wird – ob nun Stalinismus, Solidarność oder Nachwendewirren – Bratek stet immer in der ersten Reihe, und zwar derjenigen der Verlierer.
Stuhr verkörpert nicht nur einen Polen im Mahlstrom der Geschichte – er IST Polen. Seine Mischung aus Unbedarftheit, Feuereifer und wiederkehrendem Pech illustriert die Psyche einer ganzen Generation, die als Spielball der Kräfte wenig Raum zur Selbstverwirklichung hatte. Bei ihm gibt es keine Opfer und keine Täter, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, die haltlos im historischen Schlamassel des 20. Jahrhunderts treiben.
Eine Veranstaltung der Filiale Leipzig des Polnischen Instituts Berlin in Kooperation mit dem Aleksander-Brückner-Zentrum für Polenstudien an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und dem Kino im Schillerhof. Mit freundlicher Unterstützung des Imre Kertész Kollegs an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Einführung: Dr. Ewa Krause (Aleksander-Brückner-Zentrum Jena)