May 2011 - March 2012
Mail veronika.wendland(at)herder-institut(dot)de
Seit 2009 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg und Lehrbeauftragte an der Uni Gießen. 2006-2008 an der LMU München, 1997-2003 am Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas; zwischen 2001 und 2006 Elternzeiten mit den drei Söhnen. Promotion 1998 an der Uni Köln über "Die Russophilen in Galizien. Ukrainische Konservative zwischen Österreich und Russland 1848-1915" (Fritz-Theodor-Epstein-Preis 2000 des VOH). Forschungsaufenthalte in St.Petersburg, Kiew, Lemberg/Lviv, Vilnius, Wien. 1985-1993 Studium der Osteuropäischen Geschichte, Politikwissenschaft und Slavistik an der Universität zu Köln, Akademisches Jahr an der Taras-Ševčenko-Universität in Kiew.
Lemberg und Wilna, zwei Großstädte an der Peripherie ost(mittel)europäischer Imperien und Staaten, waren bis zum Zweiten Weltkrieg multilinguale und multikonfessionelle Stadtgesellschaften. In den mehrheitlich von Polen und Juden sowie signifikanten ukrainischen, armenischen, weißrussischen und litauischen Minderheiten bewohnten Städten wurde Urbanität als spezielle Lebensform und urbane Identität als ein kulturelle Identitäten transzendierendes Bekenntnis im Laufe des 20. Jh. massiv in Frage gestellt. Das "Zeitalter der Extreme" (Hobsbawm) machte die Städte zum Schauplatz konkurrierender Integrationsprojekte, die von den Nationalbewegungen der Polen und Ukrainer (Lemberg) bzw. Litauer (Wilna), von Besatzungsmächten im Kriege, von imperialen und nationalstaatlichen Behörden (Österreich-Ungarn, Russländischen Reich bzw. Sowjetunion; Polen der Zwischenkriegszeit) vorangetrieben wurden.
Dabei kam es zu Prozessen der gegenseitigen Ergänzung, latenten Konkurrenz sowie Transformation urbaner, nationaler und imperialer Identitäten. Städtische Akteure waren dabei vielfältig in nationale und imperiale Integrationsvorhaben eingebunden. Unter sowjetischer und deutscher Besatzung während des Zweiten Weltkriegs sowie in der unmittelbaren Nachkriegszeit hielt der urbane Zusammenhalt exogenen Belastungen nicht stand. Die jeweiligen Stadtgesellschaften wurden durch die Ghettoisierung und Ermordung der Juden sowie die Deportation der überwiegenden Mehrheit der polnischen Städter ins nach Westen "verschobene" Polen fast vollständig ausgelöscht. Unter sowjetischer Herrschaft kam es zu einem weitgehenden Bevölkerungsaustausch und zur Neubesiedlung der Innenstädte durch Ukrainer bzw. Litauer aus dem Umland sowie russischsprachige Funktionseliten aus dem Inneren der Sowjetunion. Gleichzeitig waren beide Städte Objekt neuartiger Integrationsversuche, welche die städtischen Strukturen und die neuen Bewohner ins System einbinden sollten. Bei der Schaffung der sowjetisch-"sozalistischen Stadt" spielten nationale Kriterien gleichwohl weiterhin eine bedeutende Rolle. Gleichzeitig sind aber auch Prozesse der Aneignung und Anverwandlung der alten Stadtlandschaften durch neue Akteure und ein unterschwelliges Weiterwirken bzw. eine Neurezeption städtischer Traditionen und Identitäten aus der Vorkriegszeit zu beobachten, die schließlich zur Genese neuer Urbanitätsformen beitrugen.
Die am Imre Kertész Kolleg entstehende Monografie untersucht in komparativer Absicht und über gängige Periodisierungsgrenzen hinweg, wie sich bestimmte Formen städtischen Lebens und Konzeptionen von Urbanität sich unter extrem variierenden Bedingungen herausbildeten, bewährten oder auch scheiterten. Sie beschäftigt sich mit gesellschaftlichen und identitären Transformationsprozessen, Traditionsbrüchen und Neuanfängen sowie den Auswirkungen von Territorialisierungsregimes, Gewalt- und Diktaturerfahrungen in ostmitteleuropäischen Städten. Sie ist somit an einer wichtigen Schnittstelle mehrerer Forschungsschwerpunkte des Imre Kertész Kollegs angesiedelt.
Wie wir die Karten lesen: Osteuropäische Fragen an Europäische Geschichte und Europäische Einigung, München 2007.
Die Russophilen in Galizien. Ukrainische Konservative zwischen Österreich und Russland, 1848 - 1915, Wien 2001.
with Hoffmann, Andreas: Stadt und Öffentlichkeit in Ostmitteleuropa. Beiträge zur Entstehung moderner Urbanität zwischen Berlin, Charkiv, Tallinn und Triest, Stuttgart 2002.
Grenzgänge und Grenzgänger in der Geschichte der Ukraine, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Nr. 5 / 2011 (Mai 2011, in Druck).
Chapter 4: Cultural Transfer, in: Ansgar Nünning / Birgit Neumann (eds.), Travelling Concepts for the study of culture, Berlin-New York 2011 (in Druck).
The Ukrainian-Ruthenian Success-Failure Continuum in Austrian Galicia, in: Joshua Fishman / Ofelia Garcia (eds.), Handbook of Language and Ethnic Identity vol. 2 The Success-Failure Continuum in Language and Ethnic Identity Efforts, Oxford 2011, S. 399-419.
Ukraine transnational. Transnationalität, Kulturtransfer, Verflechtungsgeschichte als Perspektivierungen des Nationsbildungsprozesses, in: Andreas Kappeler (Hrsg.), Die Ukraine. Prozesse der Nationsbildung, Köln-Wien 2011, S. 51-66.
Imperiale, koloniale und postkoloniale Blicke auf die Peripherien des Habsburgerreiches, in: Claudia Kraft, Alf Lüdtke (Hrsg.) Kolonialgeschichten. Regionale Perspektiven auf ein globales Phänomen, Hamburg 2010, S. 215-235.
Eindeutige Bilder, komplexe Identitäten. Imperiale, nationale, regionale Identitätskonzepte und ihre Visualisierung auf der galizischen Allgemeinen Landesausstellung in Lemberg 1894, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 58 (2009) H. 1-2, S. 111-161.
Stadtgeschichtskulturen: Lemberg und Wilna als multiple Erinnerungsorte, in: Aust, Martin/ Ruchniewicz, Krzysztof/ Troebst, Stephan (Hgs.) Verflochtene Erinnerungen. Polen und seine Nachbarn im 19. und 20. Jahrhundert, Köln-Weimar-Wien 2009, S. 31-60.
Aust, Martin: Polen und Russland im Streit um die Ukraine. Konkurrierende Erinnerungen an die Kriege des 17. Jahrhunderts in den Jahren 1934 bis 2006, Wiesbaden 2009, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 59 (2011) (forthcoming).
Gebrhard,Jörg: Lublin. Eine polnische Stadt im Hinterhof der Moderne (1815-1914), Köln u.a. 2006, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 58 (2010), S. 605-607.
Schenke, Cornelia: Nationalstaat und nationale Frage. Polen und die Ukrainer in Wolhynien 1921-1939. Hamburg - München 2004 / Kate Brown: A Biography of No Place. From Ethnic Borderland to Soviet Heartland, Cambridge MA - London 2004, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 58 (2010), S. 121-125.